Pflanzen als weggefährten

Anlegen eines neuen Blumenbeetes

Die Liebe zu Pflanzen liegt bei mir in der Familie. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter und ihre Mutter bei gegenseitigen Besuchen als erstes immer durch die Räume gingen und gemeinsam alle Zimmerpflanzen anschauten, wie sie gewachsen waren, welche kränkelten, welche gut gedeihten. Von meiner Großmutter lernte ich, dass bestimmte Pflanzen bei körperlichen Beschwerden helfen können. So ging sie manchmal in ihren kleinen Garten und holte sich dort Breitwegerich, um ihre rheumatischen Schmerzen zu lindern.
Als ich zehn Jahre alt war, zogen meine Eltern und ich aus der Kleinstadt Flensburg von einer Wohnung in ein Haus mit Garten in der grenznahen Gemeinde Harrislee. Dort hatte ich mein eigenes Gemüsebeet und säte und erntete meine ersten selbst gezogenen Erbsen, Mohr-rüben und Radieschen. In der Schule besuchte ich eine Pflanzen-AG und übernahm die Pflege der Schulpflanzen während der Sommerferien. Wir wohnten in der Nähe eines kleinen Waldes und ich liebte es, stundenlang darin herumzulaufen, die Pflanzen zu betrachten und ihnen zuzuhören. Allein in der Stille der Natur zu sein, sitzend an einem einsamen Tümpel, das war für mich das Größte. Der Wald war für mich Zufluchtsort vor einer Welt, die mir oft zu grell, zu laut, zu anstrengend war. Als ich sechzehn Jahre alt war, begann ich eine Facharbeit im Leistungskurs Biologie zu schreiben - damals eine sehr unübliche Angelegenheit, eine Option, die fast niemand wahrnahm. Ich kartierte während zweier Vegetationsperioden den gesamten Wald und erfasste alle dort wachsenden Arten vom Baum bis zur Grasart. Eine aufwendige Sache, denn ich musste mich in die gesamte botanische Nomenklatur einarbeiten, zudem vieles über Geobotanik lernen, regelmäßig den Wald durchstreifen, Pflanzen sammeln, pressen, ein Herbarium anlegen, bis ich nach zwei Jahren wusste, welche Arten alle dort wachsen. Natürlich schien danach allen klar, dass ich Biologie studieren würde.
Allerdings galt meine größte Leidenschaft der Sprache, den Worten, dem Schreiben. Mit zwölf Jahren wusste ich, dass ich Schriftstellerin werde. Und so studierte ich zwar auch Biologie, aber meine Begeisterung galt den Fächern Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Philosophie. Aufgrund meiner botanischen Kenntnisse fragte man mich bereits im zweiten Semester, ob ich botanische Bestimmungsübungen leiten könne, was für mich meine ersten Dozententätigkeit wurde.
Nach und nach wurde mir klar, dass ich beruflich nichts mit Biologie machen, sondern mit dem geschriebenen Wort arbeiten würde, aber meine Leidenschaft für die Pflanzenwelt blieb. Immer hatte ich jede Menge Zimmerpflanzen in allen Ecken der Wohnung und päppelte mit Begeisterung vor allem jene auf, die dahinsiechten und die andere schon abgeschrieben hatten.
Die Sehnsucht nach einem eigenen Garten wurde immer größer, denn die verschiedenen Balkone in verschiedenen Wohnungen in der Großstadt konnten dauerhaft kein Ersatz dafür sein.

Mit Mitte Vierzig durfte ich endlich einen Garten mein eigen nennen, und mit Begeisterung und Hingabe machte ich mich ans Säen, Pflanzen, Pflegen und Hegen. Besonders angetan haben es mir englische Cottage Gärten, alte Bauerngartenpflanzen und Heilkräuter. Außerdem liebe ich alte englische Rosen. Ein von Rosen umrankter Pavillon als lauschige Sitzecke ist ein Traum, an dessen Erfüllung ich noch arbeite.
Nach langen Tagen am Schreibtisch oder nach anstrengendem Unterricht gehe ich, wenn die Jahreszeit es zulässt, gern noch in den Garten. Und ich merke jedes Mal, wie schnell ich mich regeneriert fühle, wenn ich mich zwischen den Pflanzen bewege.

 

 

 

Mit der Fotografie bin ich intensiv seit meiner Jugend verbunden. Ich arbeitete mit Fotografen zusammen, lernte viel von ihnen und experimentiere gern mit den Grenzen der Fotografie. Mehr dazu findet man hier: https://www.gydecallesen.de/blickwinkel/