26 Jahre lang hab ich in einer Großstadt gelebt, immer begleitet vom Rauschen der Straßen- und U-Bahnen, von der aufgeregten Geschäftigkeit der Menschen, dem Flirren steter Bewegung. Viele Jahre
hab ich dies genossen - im Sommer spät abends durch die Straßen zu fahren, wo die Straßenmusiker spielen und die Menschen sich in den Cafés bis spät in die Nacht treffen. Künstlern aller
Nationalitäten zu begegnen und teilzuhaben an einer lebendigen freien Kunstszene. Großstädte pulsieren, es gibt immer etwas zu entdecken, sie kommen erst spät in der Nacht etwas zur Ruhe. Als
Schriftstellerin bot mir eine große Stadt mit ihren völlig verschiedenen Stadtteilen und ihren vielen Möglichkeit jede Menge an Inspiration. Ich konnte Lesungen an ungewöhnlichen Orten machen und
Kunst im öffentlichen Raum gestalten.
Irgendwann wurde mir die Stadt zu laut, zu grell, zu anstrengend. Gerade in der Corona-Zeit wurde die Großstadt unerträglich, die Massenhysterie potenzierte sich hier um ein Vielfaches, wo viele
Menschen auf engem Raum leben. Sie schien geradezu zu einer Falle zu werden, denn Ausgangssperren entfalteten hier viel mehr als auf dem Land eine fatale Wirkung.
In dieser Zeit sanierten wir unser gerade gekauftes Haus und mussten regelmäßig aufs Land fahren - und es war jedes Mal ein großes Aufatmen da, wenn man die Grenzen der Stadt hinter sich gelassen
hatte und sich vor einem das Panorama des Mittelgebirges auftat.
Lange hätte ich mir nicht vorstellen können, außerhalb einer großen Stadt zu leben, wo man scheinbar alles um die Ecke hat. Doch die Stadt wurde nicht nur immer lauter, sie wurde auch heißer.
Immer mehr Grünparzellen zwischen langen Reihen von Altbauten, die im Sommer Kühlung und dem Auge Erholung boten, wurden zugebaut. Jede noch so kleine Grünoase fiel nach und nach der Profitgier
von Investoren und der Baugenehmigungsbereitschaft der Stadt allem Klimawandel zum Trotz zum Opfer, und wo vorher Vögel nisteten und Schmetterlinge flogen, entstanden auf kleinstem Platz
hochgezogene, riesige Eigentumswohnungstempel. Permanent gab es Baustellen. Und Ruhe und Stille wurden immer weniger.
Eigentlich bin ich kein Großstadtmensch, aber ich konnte als junger Mensch die Vorzüge einer solchen Stadt sehr schätzen und genießen. Immer fehlte mir jedoch ein Garten und oft spielte ich mit
dem Gedanken, einen Kleingarten zu pachten. Umso schöner war es dann, die Stadt zu verlassen und in ein kleines Haus auf dem Land zu ziehen und einen großen Garten pflegen zu können.
Als wir diesen Schritt taten, auf das Land zu ziehen, waren wir uns alles andere als sicher, dass diese Entscheidung richtig sei. Wir waren darauf vorbereitet, dass wir uns dort nicht wohlfühlen
könnten und zurück in die Stadt ziehen wollen würden. Doch jeder Tag in Ruhe mit dem Blick in die Weite und das Grüne ist wie ein Geschenk. Denn, was ich in der Stadt immer wieder über Jahre
schmerzlich vermisste, war der Blick zum Horizont, der Blick zum Himmel, in die Weite. Überall engten Gebäude den Blick ein und machten die Augenblicke zu.
Tatsächlich erschien mir auf dem Land über ein Jahr lang jeder Tag wie Urlaub. Vom Schreibtisch aus auf das Mittelgebirge schauen zu können, die Tür zu öffnen und inmitten des eigenen Gartens zu
stehen und abends direkt vor der Tür über Felder, Wiesen und durch Wälder fahren zu können, erschien zunächst fast unwirklich. Nein, ich vermisse die Stadt nicht, mit ihrem ständigen Tatütata,
mit ihrem permanenten Hintergrundsausen von Autos auf den Schnellwegen, mit ihrem überall präsenten Geruch nach Müll und Abgas. Ich muss aber zugeben, dass ich noch in der Nähe von ihr lebe, dass
ich dort noch arbeite, dass ich also mich nicht ganz von ihr losgesagt habe. Aber ich habe einen Rückzugsort, wo abends Klosterglocken läuten, wo es nachts still und dunkel ist. Ich bin innerlich
ruhiger geworden, als hätten Körper und Seele sich nun entspannen können.
Und etwas kommt noch hinzu. Es gibt jede Menge Dinge, die einfach erledigt werden müssen: die Pflanzen pflegen und gießen, Sträucher schneiden, Vögel füttern, Dinge am Haus reparieren und vieles
mehr. Man muss sich kümmern und ist auf eine Weise gefordert, die man als Stadtmensch kaum kennt. Mich erinnert dies häufig an die Zeit, als ich auf einem Bauernhof gearbeitet habe - die
Feldfrüchte müssen geerntet werden, die Hühner wollen gefüttert werden, das Gemüse muss für den Markt vorbereitet werden.
Es gibt eine Notwendigkeit, die einen fordert, aber auch trägt, mit dem klaren Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.