Mitten in der Corona-Zeit übernahm ich mit meinem Mann einen Garten und ein Haus.
Der Garten war verwahrlost und offensichtlich wenig liebevoll behandelt worden. Der Vorbesitzer hatte, wie ich später erfuhr, eine Wildhecke entfernt und Obstbäume gefällt. Ins Auge fielen eine riesige Tanne, große Buchsbaumsträucher, ein mächtiger Wacholder und ein Thuja-Wald. Dazwischen eine ziemlich große Rasenfläche. Im kleinen Vorgarten dominierte ein Kirschlorbeer, dessen abgefallene, braune Blätter den gesamten Vorgarten bedeckten.
Wie nähert man sich so einem Garten mit Geschichte an? Wie kann man helfen, geschlagene Wunden zu heilen?
Ich hatte mich zwar schon sehr viel mit Botanik beschäftigt, kannte mich mit heimischer Vegetation aus, hatte zuvor einen Balkon jedes Jahr bunt bepflanzt, aber einen Garten hatte ich noch nie
angelegt. Als neuer Gartenbesitzer kann man leicht geneigt sein, ganz viel machen zu wollen - das kann man immer wieder beobachten, wenn Menschen Häuser und Gärten übernehmen. Oft wird dann viel
herausgerissen, abgeschnitten, gefällt, um den Garten nach eigenem Dünken zu gestalten, um ihn der eigenen Idee unterzuordnen. Doch das wollte ich nicht.
Ich merkte, dass ich dem Garten zuhören musste, dass er eine Geschichte zu erzählen hatte. Und dass es darum ging, mit dem umzugehen, was da war, egal ob es mir nun gefiel oder nicht. Nach und
nach begriff ich, was wo wächst, wo welche Pflanzen sich wohl fühlen, welche Standorte es gibt. Neben sehr sonnigen Standorten an einer weißen Hauswand Richtung Süden, wo sich hitzetolerante
Pflanzen ansiedelten, gab es halbschattige Plätze im Westen und Richtung Norden lag ein kleiner, schattiger Vorgarten. Wir pflanzten zunächst eine neue Wildhecke aus heimischen Sträuchern, die
eine natürliche Grenze an dem alten Zaun bilden und Vögeln und Insekten Nahrung und Unterschlupf gewähren sollten. Ich steckte etliche Blumenzwiebeln aus ökologischem Landbau in den Boden, so
dass wir uns im folgenden Frühjahr an Krokussen, Traubenhyazinthen, Tulpen und Osterglocken erfreuen konnten. Nach und nach legten wir legten wir Blumenbeete an, die dem öden Rasen einen bunten
Saum schenkten.
Im zweiten Jahr pflanzten wir auf der Rasenfläche einen Apfelbaum und eine Zaubernuss. Dann erfüllte ich mir einen Traum, als wir an der Terrasse eine Austin-Rose emorranken ließen: Gertrude
Jekyll mit ihrem süßwarmen, klassischen Rosenduft.
Die Koniferen und der Kirschlorbeer, die uns erst nicht gefielen, schienen sie so gar nicht in ein buntes Naturparadies zu passen, wie es uns vorschwebte. Doch dann lernten wir, wie viele Vögel
darin Platz hatten, wieviel Lebensraum und Nahrung diese Bäume boten, so dass wir uns unerwartet mit ihnen anfreundeten.
Als würde der Garten merken, dass nun wieder Gartenfreunde sich seiner angenommen hatten, sprossen plötzlich an allen Ecken Pflanzen und Blumen hervor, von denen man am Anfang nichts geahnt
hatte. Alte Sträucher kamen ebenso zurück wie Stauden. Zwischen den von uns gepflanzten Sträuchern wuchsen auf einmal Sommerflieder, Hartriegel, Schneeball. Gladiolen und Pfingstrosen kamen
ebenso hervor wie Lampionblumen und Storchschnabel. Es war eine Freude zu sehen, wie Altes zurückkehrte und die neuen Bepflanzungen bereicherte. Die Vorbesitzerin vor dem letzten Vorbesitzer
stand eines Tages an unserer Pforte und sagte, dass sie früher viele Blumenbeete gehabt habe und dass sie sich freue, dass dies nun wieder so sei.
Schon bald war der Garten auch ein Vogel- und Insektenparadies. Spatzen, Amseln, Stare, Spechte, Kernbeißer fühlten sich offensichtlich ebenso wohl wie Bienen und Hummeln und Igel.
Wir kümmerten uns mit Hingabe um dieses uns neu anvertraute Land und dieses schenkte uns sehr viel zurück. Aus einem verwahrlosten Stück Erde kann so nach und nach wieder ein lebendiger Garten
werden.